Misiones – Jesuiten Reduktionen
Am 2. September haben wir endlich wieder Asphalt unter den Reifen und freuen uns alle 3 über das Ende der Regenmatsch-Pisten. Auf unserem Weg Richtung Grenze in Puerto Iguazú möchten wir eigentlich keinen Sidestep mehr machen – somit ist unser aktuelles nächstes Ziel Posadas. Wir haben Glück mit unserem Lagerplatz in einem aufgeforsteten Wald. Dort sind wir (bei Regen und wieder einmal Matsch Piste) ganz alleine und Gizmo darf frei laufen und sich die Pfoten vertreten und schön rot einfärben.
Der Weg nach Posadas führt vorbei an riesigen Maté Plantagen – hier in Misiones ist das einzige Anbaugebiet in Argentinien. Sämtliche namhaften Marken Argentiniens sind hier vertreten. Der größte Maté Produzent weltweit ist dann weiter nördlich Brasilien.
In Posadas kaufen wir erstmal Lebensmittel ein. Danach suchen wir einen Tierarzt auf, um die nötigen Papiere für Gizmo´s Einreise in Brasilien zu bekommen. Die Praxis ist heillos überfüllt – wir werden morgen wiederkommen. In der Zwischenzeit hätten wir natürlich in dem dicht besiedelten Gebiet gerne einen ruhigen Platz mit viel Grün. Uns gefällt der Tipp auf iOverlander, einfach am Parkplatz einer Mission zu bleiben – es wäre sicher und ruhig. Außerdem könnten wir, wenn wir dann schon da sind, eine der Missionen besichtigen – warum nicht? Wir entscheiden uns für die zwar nicht am Besten erhaltene Mission – aber die Größte: Loreto. Als wir ankommen ist es fast dunkel und das große Tor ist angelehnt. Wir marschieren zu Fuß zum nächsten Tor, an dem bereits ein Maté-trinkender Nachtwächter auf uns wartet – kein Problem – wir können da bleiben. Der Parkplatz ist perfekt – wir stellen uns unter einen der großen Bäume – rundum alles Parkanlage bzw. Wald. Es gibt lediglich 2 freilaufende Hunde, die sich bei Gizmos Anblick sofort verziehen.
Am nächsten Morgen ist Betrieb in der Mission – zwar keine Besucher, aber man hört die Mitarbeiter lachen. Wir stellen und mal vor und fragen, ob wir denn heute nochmal da bleiben dürfen, denn wir würden gerne die Mission besichtigen, aber vorher den Tierarzt in Posadas aufsuchen und ein paar andere Dinge erledigen. „Kein Problem“, versichert uns Silvio – sollten wir erst bei Einbruch der Dunkelheit kommen, könnten wir einfach das Tor öffnen und herein fahren. Wir sind happy – also kein „Lagerplatz-Suchen-Kopfweh“ in der dicht besiedelten Gegend.
Zuallererst steht der Tierarzt auf unserem Plan – wir fahren wieder zur Tierklinik Inti. Wie üblich bleibt Haimo bei Auto und Hund und ich versuche mein Glück. Die nette Tierärztin erklärt mir, dass wir für Brasilien wieder ein Certificado de Salud bräuchten und zusätzlich wieder zur SENASA müssten. Das Gesundheitszertifikat ist gleich erledigt und sie gibt mir die Adresse des SENASA Büros. Da sie wirklich sehr nett ist und eine Frau, packe ich die Gelegenheit am Schopf und bitte sie, mir einen Frisör zu empfehlen – tut sie, zu dem im Shopping Center geht sie und das passt immer gut. Ja, super. Das läuft ja alles wie am Schnürchen.
Wir fahren weiter zum vermeintlichen SENASA Büro. Dummerweise ist das leer. Die Herrschaften sind umgezogen. Weder der Polizist an der Kreuzung, noch der Soldat gegenüber, der den Eingang der Kaserne bewacht können mir sagen, wohin die Herrschaften umgezogen sind. In der Panaderia daneben weiß man ein bisschen mehr, die Dame erklärt mir, wo wir hin müssen. Da sie leider die zwei Straßen mit ähnlichem Namen auf meinem Plan verwechselt, folgt nun eine etwas längere Odyssee des Suchens die auf einem Schlachthof endet – genau das richtige für mich! Nachdem wir eine zweite Straße mit ähnlichem Namen auf dem Plan finden, probieren wir unser Glück dort. Tatsächlich – das neue SENASA Büro ist hier. Beim anklopfen sehe ich die Öffnungszeiten – verdammt – wir sind eine halbe Stunde zu spät. Ein Herr öffnet mir und ich erkläre mein Begehr – er hat bereits seinen Rucksack in der Hand und ist offensichtlich am Sprung. Sein wesentlich älterer Kollege deutet ihm mit einer Handbewegung er solle doch gehen und mir gleichzeitig ist solle eintreten.
Ich zeige ihm das frisch gestempelte Certificado de Salud und bitte ihn um ein Formular für die Ausfuhr von Gizmo. Er meint, er könne das Formular schon machen, aber ich müsste ja vorher wieder bezahlen und zu einer „PagoFacil“ Filiale fahren und außerdem wäre aktuell kein Tierarzt anwesend, um das Papier zu unterschreiben. Verdammt – dann verlieren wir einen ganzen Tag. Ich erkläre dem netten Herren, dass wir in Loreto nächtigen würden und morgen extra wieder nach Posadas kommen müssten deswegen. Er überlegt. Gut, wenn wir gleich losfahren und bezahlen, dann würde er alles fertig machen. Er händigt mir die teuerste SENASA Rechnung der gesamten Reise aus (flexibel sind sie) und wir rasen los – alles schnell erledigt und schon sind wir wieder da. Tatsächlich hat er in der Zwischenzeit das Formular fertig gemacht und es rangt auch eine Unterschrift drauf – vermutlich die seine. Wir bedanken uns sehr herzlich, denn er ist extra für unsere Belange noch da geblieben – dieses berufliche Engagement ist seit Beginn unserer Reise in Südamerika definitiv die Ausnahme. Wir laden noch Teile des Berichts für die Website in einem freien Wlan hoch und als wir auf die Uhr sehen ist klar, wir werden den morgigen Tag definitiv nochmal nach Posadas kommen müssen verdammt. Wo geht die Zeit nur hin?!
Am nächsten Morgen marschieren wir schnurstracks in die Mission und bitten um eine Führung. Der Guide on Duty ist Ana. Sie spricht lediglich Spanisch – ihr Englisch naja – ist schlechter als mein Spanisch und das ist schon kaum möglich. Ana ist eine total nette Person und wir einigen uns darauf, dass wir die Führung auf Spanisch probieren. Sie spricht langsam und verständlich in einfachen Sätzen (man merkt, sie hat Kinder) und wenn wir nicht verstehen, probiert sie so lange zu Umschreiben, bis der Groschen fällt – wenn das auch nicht funktioniert, spielen wir einfach eine Runde Scharade.
Die Anlage Loreto ist die größte der Jesuiten Missionen, aber auch die am Schlechtesten erhaltene – überall wo man hinschaut, hat sich die Natur ihr Eigen zum Großteil wieder geholt. Wir bekommen nicht nur die Geschichte der Jesuiten und Indigenen erzählt, wir erhalten auch einen interessanten Exkurs in lokaler Botanik. Es wachsen hier wilde Maté Bäume sowie Philodendron und andere Gewächse, die wir Europäer gerne in den Wohnzimmern stehen haben. Unsere Privatführung dauert 2 Stunden und wir sind wirklich begeistert. Loreto ist die größte Missionen, die man in der Gegend besichtigen kann, in der Nähe befinden sich auch noch Santa Ana und San Ignacio. Letztere ist die am Besten erhaltene von ihnen und ist außerdem Teil des UNESCO Weltkulturerbes. In der kleinen Provinz Misiones war der Name Programm: Die ersten Europäer hier waren Jesuitenmissionare. Sie gründeten die so genannten Reduktionen (Siedlungen), in denen indigene Bevölkerung vor Ausbeutung, Mord und Sklaverei beschützt werden sollte. Die Guaraní mussten hier 3 Tage die Woche für die Gemeinschaft arbeiten und 3 Tage durften sie für ihre eigene Familie arbeiten. Christentum ja – Selbstlosigkeit nein - Der Preis, den die Guaraní für diesen Schutz zahlten, war der Verlust bzw. das Verbot vieler Bräuche mit dem Ziel ihrer Christianisierung. Morgen wollen wir dann noch San Ignacio besichtigen und anschießend weiter Richtung Iguazú.
Leider haben wir noch eines in Posadas zu erledigen und das muss sein: der Frisör Besuch. Ich sehe mittlerweile aus wie ein Uhu nach dem Waldbrand – es geht nicht mehr. Ich brauche zumindest neue Farbe – mit dem Rest kann ich leben.
Ich marschiere direkt in den Frisörladen des Shopping Centers. Der einzige männliche Frisör ist gerade beschäftigt und die drei Chicas, die hier arbeiten sind mit ihrer Privat-Unterhaltung beschäftigt. Sie sehen mich, reagieren aber nicht. Ich bin irritiert und warte. Irgendwann reicht es mir dann und ich gehe rüber zu ihnen. Sie bleiben sitzen und schauen mich gelangweilt an. Sie können kein Englisch – damit hatte ich gerechnet – aber stellen sich extrem arrogant und nicht-verstehend an, als ich mein Begehr vorbringe, man tauscht Blicke und mustert mich. Gut – ich bin jetzt nicht schick angezogen, aber besseres als Jeans und T-Shirt tragen die anderen Kunden und sie selbst auch nicht. Ich habe das „Care-Paket“ des Frisörs meines Vertrauens dabei und erkläre die Mischung der Farben. Bis „meine“ Frisörin es versteht – erkläre ich es dreimal. Im Endeffekt färbt man mir die Haare halbherzig ohne Pinsel und Kamm und lässt mich anschließend mit dem Kopf im Waschbecken eine Dreiviertelstunde rücklings liegen. Trotz Klimaanlage wird mir langsam heiß. In der Zwischenzeit setzt eine andere der Frisörinnen ihre Kundin an meinen Platz und neben meine Handtasche und meine Brille – ein totales NoGo! Anschließend föhnt sich „meine“ Frisörin ihren Pony genüsslich auch ebendort nach. Danach platziert sie mich an einem anderen freien Platz und föhnt aus mir eine Angela Merkel. Gut – einmal Durchwuscheln und Schlafen und das ist erledigt – nicht aufregen. Ein Wutanfall auf Deutsch oder Englisch bringt nix. Leider hat sich zurück im Zebra außerdem herausgestellt, dass mir am Hinterkopf die neue Haarfarbe fehlt und das werde ich wohl mit einmal drüber Schlafen nicht hinkriegen. Grrrr....
Wie auch in den ersten beiden Nächten haben wir super geschlafen am Gelände von Loreto. Ana hat uns erzählt, dass heute ihr englischsprachiger Kollege Dienst hat – wenn wir also noch Fragen hätten, dann sollten wir doch nochmal vorbei schauen. Wir schauen also kurz vor Abfahrt nochmal rein, vor allem um uns für die Gastfreundschaft zu bedanken. Marcelo ist schnell gefunden und wir bedanken uns für die dreitägige „Beherbergung“. Außerdem bitten wir ihn, Ana nochmals unseren Dank auszusprechen. Wir unterhalten uns etwas und etwas mehr und schließlich fragt Marcelo, ob wir denn mit ihm Maté trinken möchten. Ach denken wir uns, so ein kleiner Maté, warum nicht. Dann geht’s aber weiter.
Ein paar Maté (sowohl Chimarrao als auch Tereré) und einen Spaziergang durch das große Gelände später ist es 18.00. Soviel zu schnell mal einen Maté trinken. Marcelo, der selbst Guaraní Wurzeln hat erzählt viel spannendes über die Geschichte seiner Familie bzw die Bräuche und Religion der Guaraní, wir diskutieren übers Reisen, Natur und die Welt – die Zeit vergeht im Flug. Der Besuch von San Ignacio wird also wieder auf morgen verschoben. Wir verabschieden uns voneinander mit dem Versprechen, morgen nochmals „hallo“ zu sagen, bevor wir weiter fahren.
Am Morgen des 7. September bricht mal unsere Elektrizität zusammen. Von Maté-Trinken und im Schatten stehen, lädt sich nun mal die Batterie nicht auf. Wir müssen also vor dem Frühstück aus dem Schatten des tollen großen Baumes fahren, um Kaffee kochen zu können. Anschließend verabschieden wir uns nochmals bei Marcelo – mit dem gegenseitigen Versprechen, auf keinen Fall erneut eine Einladung zum Maté anzunehmen. Wir tauschen Kontakte aus und verabschieden uns herzlich von einander. Wir hoffen sehr, uns irgendwann einmal wieder zu treffen.
Der Touristentrubel in San Ignacio holt uns schnell aus unserer inneren Ruhe und Erholung der letzten Tage in Loreto. Im Gegensatz zu dort ist es hier sehr touristisch und geschäftig. Die Mission ist mitten in der Stadt. Viele selbsternannte Parkwächter weisen einen unaufgefordert Parkplätze zu und möchten dann dafür Geld. Dabei sind es ganz normale freie Parkplätze der Stadt. Wir sind genervt. Aber wir sind schon mal da – dann gehen wir auch rein. Definitiv kann man aufgrund der erhaltenen Struktur besser die alte Anlage nachvollziehen, dennoch ist es für uns nicht mit den netten letzten Tagen und Erlebnissen in Loreto vergleichbar.