Golfressort

 

Am 20. Oktober 2018 sind wir super ausgeschlafen – die Nacht war gut. Wie üblich sind wir früh wach, der Urwald beginnt um 5.00 Uhr zu lärmen. Die Kontrolle des Reifens zeigt, dass über Nacht wieder die Hälfte Druck verloren gegangen ist. Verdammt – wir haben einen Reifenproblem und brauchen einen Gummisti – in Brasilien genannt: Boracharia

 

Wir packen zusammen und machen uns auf den Weg Richtung Tankstelle. Vielleicht hat hier jemand eine Empfehlung für eine Boracharia.

 

Haimo steht an der Zapfsäule und tankt das Zebra voll, ich schaue mich um und bemerke, es lächelt mich jemand an – hm. Ich lächle mal zurück. Der Jemand kommt rüber und stellt sich als Andre vor. Das Beste: Andre spricht auch Englisch. Er ist von hier und erzählt, dass er auch wie wir gereist ist und zwar in einem VW Bulli von Miami nach Uruguay vor zwei Jahren. Er fragt wo wir schon waren und was wir noch vor hätten und freut sich sichtlich, Overlander zu treffen. Ich packe die Gelegenheit am Schopf und frage Andre, ob er denn eine Empfehlung für eine gute Borracharia hätte. Er überlegt und schaut auf die Uhr – er muss bald los Richtung Belo Horizonte, aber er fährt schnell vor zur nächsten Borracharia. Dort angekommen wird schnell diskutiert – ursprünglich erklärt man uns, dass unser Schlauch nicht vulkanisiert werden kann, aber man kann den Schlauch wechseln. Gut – das machen wir – einen Schlauch haben wir noch in Reserve. Andre verabschiedet sich – er hat ein Konzert. Wie Konzert, frage ich. Er meint, dass er Musiker sei und heute in einem Golfressort am Weg nach Belo Horizonte spielen würde. Ich frage, ob wir denn da auch zusehen könnten, falls das hier nicht ewig dauert, da wir ja auch weiter Richtung Belo Horizonte müssten. Klar! - Andre gibt mir die Adresse sowie ein kleines Werbeplakat der Veranstaltung und meint noch beim Einsteigen ins Auto, wir müssten uns anmelden dort.

 

In der Zwischenzeit hat sich der Meistro über unseren Reifen hergemacht und wieder Erwarten ist es wohl die sauberste und am wenigsten brachiale Arbeit, die wir bisher gesehen haben. Und als Draufgabe kann er doch unseren kaputten Schlauch reparieren. Ja perfekt, dann haben wir wenigstens einen in Reserve für den hoffentlich nie mehr eintretenden Notfall. Gut gelaunt haben wir mittlerweile beschlossen, zum Konzert zu fahren. So groß ist der Umweg nicht – nicht nur das Leben sondern auch unsere Reise ist eine Reise, Andre ist ein netter Kerl und das Konzert sicher super – wir müssen halt schauen, wo wir dann dort für die Nacht bleiben können – dies ist unser größtes Bedenken, dass wir im Nahbereich des großen Belo Horizonte keinen Lagerplatz finden.

 

Um kurz vor 18.00 stehen wir vor einem feudalen Einfahrtstor – erinnert eher an das Tor einer Militäreinrichtung. Wir sind irritiert – das ist doch bloß ein Golfressort!? Die Security kann natürlich nur portugiesisch, so wird es wieder spannend zu erklären, warum wir mit diesem Auto zum Golf wollen. Ich erkläre auf Spanisch, dass dort ein amigo von uns ein Konzert spielt im Restaurant und zeige das Plakat. Aja – das versteht er. Es dauert dann immer noch eine Viertelstunde bis wir das OK bekommen. Sämtliche unserer Daten wurden registriert, die Passnummern abgeschrieben – was das wohl für ein Golfressort sein mag? Endlich dürfen wir fahren. Wir bekommen eine Besucherkarte und die wäre für den zweiten Kontrollposten. Der zweite Posten versteht wieder nicht und möchte uns zum Lieferantenbereich schicken, da man unser Zebra fälschlicherweise (wie schön öfter in Brasilien) für ein Lieferauto hält. Wir verweigern und bestehen auf unsere Besucherkarte. Nun kommt der zweite Security in unsere Richtung, sieht unsere Zutrittskarte und lässt uns passieren. Wir parken am großen Platz in der Mitte und sehen uns um. Irgendwie sieht das hier aus wie eine Wohnsiedlung – hier gibt es nur ziemlich schicke Privathäuser. Hm. Gegenüber beim Restaurant sieht man das übliche Treiben auf einem Golfplatz nach einem Turnier – viele Leute, die Preisverleihung dürfte gerade gelaufen sein und die hungrige und durstige Meute hat sich gerade zu Tisch gesetzt. Hm – ob wir passend gekleidet sind hier – was solls – muss reichen. Wir treten ein und gehen mal Richtung Musik – das wird so falsch nicht sein. Andre sitzt auf einem Hocker, singt und begleitet sich selbst auf der Gitarre. Was wir hören gefällt uns. Wir winken und platzieren uns gegenüber auf der Couch. Er freut sich. Wir bestellen uns ein Cerveja Artesanal und in der Folge auch etwas zu essen. Was solls – wir bleiben bis zum bitteren Ende, dann stellen wir uns halt an die Straße vor das Ressort, falls wir nicht bleiben können.

 

Zwischen den einzelnen Liedern unterhalten wir uns immer wieder ein bisschen mit Andre und genießen den gemütlichen Abend. Nach wie vor wissen wir nicht so genau, was das hier ist. Neben uns sitzt eine Runde junger Männer am Tisch und hat Spaß bei ein paar Bier. Wir bekommen mit, dass sie über uns sprechen und offensichtlich rätseln, warum wir mit dem Musiker immer auf Englisch reden. Irgendwann nimmt sich einer ein Herz und spricht uns an. 10 Minuten später werden wir an den Tisch eingeladen. In der Folge kommt etwas Licht in unser Dunkel: diese Anlage ist eine Wohnanlage für die brasilianische A-Schicht – also Minenbesitzer, Großunternehmer – sehr reiche Menschen, die hier in einer Art kleinen Dorfgemeinschaft abgekapselt und in Watte gepackt leben. Die 3 Jungs am Tisch gehören auch dazu. 2 sind Brüder und Söhne eines Minen Besitzers und einer ist Sohn eines Bauunternehmers. Der fackelt nicht lange und fragt Haimo, wie er denn Adolf findet? Uns verschlägt es mal eben die Sprache und wir fragen zurück, was er denn bitte meint? Ja, Adolf Hitler! Er findet den super – gut, die Sache mit den KZ war nicht so ideal, aber die Arbeitspolitik vorbildlich. Da es keine Steigerung zu sprachlos gibt, hält Haimo und mein Schweigen an. Irgendwann fasse ich mich dann und sage zum dem Burschen, dass wenn er solche Töne in Österreich spucken würde, dann müsste er mit rechtlichen Konsequenzen rechnen und überhaupt, wie er auf so einen Schwachsinn kommt! Und nun passiert genau das, wovor uns Joao gewarnt hat: Bloß nie mit den Anhängern des extrem rechten Kandidaten diskutieren und aufpassen, was man sagt. Das Problem in so einer Situation ist – also zumindest meines – ich kann mich nicht zurückhalten. Da sitzen hier ein paar reiche Jungs in ihrem Goldkäfig, die keine Ahnung von den Probleme der Indigenen und Schwarzen Bevölkerung des Landes haben und die, – so zeigt die Diskussion – den Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus nicht kennen und tönen, dass sie Hitler Fans sind. Haimo wird nervös, er merkt, ich werde meine Klappe nicht halten.

 

Ich frage die Jungs, ob sie denn wüssten, dass Sozialismus und Kommunismus nicht das gleiche sind. Lediglich der bekennende Hitler Freund meint, ja – es wäre richtig – die anderen beiden würden den Unterschied nicht wissen und er gäbe mir Recht, Sozialismus wäre nicht schlecht. Aber die letzte kommunistische Regierung (die eine Sozialistische war) war korrupt. Ich gebe zu bedenken, dass Korruption noch nie eine Sache der Ideologie war, sondern ein menschliches Problem ist. Außerdem frage ich, ob sie denn wirklich einen Kandidaten als Staatsoberhaupt haben wollten, der frauenfeindlich, homophob und rassistisch wäre. Wenigstens räumt man ein, dass der Rechte Kandidat gefährlich werden könnte, aber er wäre halt ihre letzte Möglichkeit – der Held – sonst kann niemand Brasilien aus dem Sumpf (welchen?) ziehen. Ich erkläre den Jungs noch, dass wir so gar nicht mit ihrer gefährlichen und ärmeren Schichten verachtenden Einstellung konform gehen und dass sie uns bitte nicht schlagen sollen, weil wir die Regel nicht befolgt haben und die Klappe nicht halten konnten. Dies sorgt tischfüllend für einen Riesenlacher – na wenigstens haben sie Humor, wenn auch kein Herz für die Bevölkerungsschichten, die etwas soziale Hilfe benötigen würden.

 

Mittlerweile setzt sich auch Andre zu uns – sein Konzert ist leider vorbei– gerne hätten wir etwas bewusster zugehört. Ich frage Andre ob er glaubt, dass wir hier am Parkplatz über Nacht stehen bleiben dürften. Er verneint vehement – er könne sich das nicht vor stellen auf diesem Areal. Hm – ich bin frech und frage die Jungs. Alle drei erklären, dass das überhaupt kein Problem sei. Der Vater des einen wäre der Präsident dieser illustren Gemeinschaft und die anderen Väter bei den Gründern dabei gewesen. Sie würden gleich die Security informieren. Wow – wie immer zeigt sich, man muss die richtigen Leute kennen – Andre lacht. Somit trinken wir alle gemeinsam noch das eine und andere Bier, verbleiben bei einfacheren Themen und verabschieden uns zu später Stunde. Als wir das Restaurant verlassen wollen spricht uns Maria, die Restaurantleiterin an und bietet uns sowohl den Parkplatz vor ihrem Haus als auch eine warme Dusche an. Sie möchte selbst so gerne einmal um die Welt reisen und ist total begeistert, von dem, was wir tun. Wir sind total überrascht und freuen uns sehr, lehnen aber herzlich dankend ab – für eine Nacht ist der große Parkplatz total ok.

 

Die Nacht war ruhig, bis um ca. 5.00 (die obligatorische Störenfriede Zeit in Brasilien) einer der Securities auf Motorrad stehen bleibt und lauthals über Funk Erkundigungen über uns bei den Kollegen am Eingangsportal einholt. Das dauert gefühlt eine Ewigkeit und ich bin kurz davor in Unterwäsche rauszuspringen und dem Kerl zu sagen, dass wir hier die Chefs persönlich kennen und gefragt haben. Wir sind nun gut wach und bleiben noch etwas liegen, ehe wir einen Morgenspaziergang mit Gizmo an der Leine durch das Areal wagen – was soll man sagen – eh ganz nett – aber traurig, dass man so Angst um seinen Reichtum hat, dass man durch das ständige Beschützen des selbigen so einen Tunnelblick bekommt, dass einem andere Leute egal werden.

 

Wir satteln die Hühner und fahren wieder Richtung BR 40 – zum Abschied genießen wir noch die verblüfften Blicke der Insassen der Anlage, die unserem „Lieferwagen“ mit offenem Mund nachschauen. Ich gebe mein bestes Queen-like-Winken und weg sind wir.

 


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